Die gleiche Person, die gleichen Fragen, über 35 Jahre später: Georg Fickler beantwortet die Fragen, die ihm die Unterallgäuer Junge Union (JU) bereits vor über 35 Jahren gestellt hat. Der frühere Landtagsabgeordnete gibt Einblicke in seine Meinungen zu Themen wie der Bedeutung von politischen Nachwuchsorganisationen, der Landwirtschaft und der Entwicklung der deutschen Kernenergie.
1. Die Junge Union ist die Nachwuchsorganisation der CSU. Welchen Stellenwert hat für Sie als erfahrener Landespolitiker die Arbeit der JU?
Antwort von 1986: Als ehemaliger JU'ler hat man natürlich zu seiner Organisation ein besonderes Verhältnis. Auf die Arbeit der JU kann nicht verzichtet werden! Keine Politik wird bestehen können, wenn sie nicht von der Basis, auch von der Jugend, mitgetragen wird.
Die Junge Union als unsere Nachwuchsorganisation hat die Aufgabe, nicht nur den jugendlichen Personenkreis anzusprechen, sondern auch deren Anliegen zu vertreten. Manche Probleme können gerade von Jugendlichen unvoreingenommener angesprochen werden, und ein kleiner Schuß über's Ziel hinaus wird weniger tragisch genommen.
Antwort von 2021: Ich sehe die Arbeit der JU heute noch als wichtig und notwendig an. Manchmal habe ich es bedauert, dass man in der letzten Zeit verhältnismäßig wenig von der JU gehört hat. Ich war damals selbst Mitglied und begeistert dabei. Das bleibt. Es hat immer etwas sympathisches, wenn ich JU höre. Dann denke ich mir: Da war ich auch schon dabei - auch wenn ich jetzt nicht mehr zur Jungen Union sondern zur Senioren Union gehöre. Da werden manche Fragen automatisch ein bisschen anders beantwortet. Ich finde es gut, dass die JU existiert - und gut existiert. Man kann nur hoffen, dass die Arbeit der JU intensiviert wird.
2. Herr Fickler, wie sehen SIe die Entwicklung der deutschen Kernenergie nach Tschernobyl [nach Fukushima]?
Antwort von 1986: Die Ereignisse von Tschernobyl haben uns deutlich vor Augen geführt, wie verheerend sich Technik auswirken kann, wenn Sicherheit vernachlässigt wird. Den bayerischen Genehmigungsbehörden wurden von einigen Betreibern übertriebene Anforderungen vorgeworfen. Viele Informationsfahrten, die ich mit dem Umweltausschuß im In- und Ausland unternehmen durfte, haben uns bestätigt, daß unsere Anforderungen bezüglich der Sicherheit besonders hoch sind. Im Nachhinein sind wir froh und wir fühlen uns in unserer Auffassung bestätigt "Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit". Die Bayerische Staatsregierung und der Bayerische Landtag haben in den letzten Wochen ihre Auffassung über die zukünftige Energiepolitik deutlich artikuliert: Solange wir für die Kernenergie keine gleichwertige bzw. bessere Energie haben, können wir auf sie nicht verzichten! Wir sehen die Kernenergie nicht als Endlösung, deshalb werden wir auch in Zukunft verstärkt nach alternativen Energien suchen. Bisher wurde kein Forschungsvorhaben wegen fehlenden Finanzmitteln abgelehnt. Wenn jedoch keine Lösung greifbar ist, sind Ankündigungen wie "Ausstieg", sei es sofort, mittel- oder langfristig, nur Augenauswischerei. Der Ersatz der Kernenergie durch Kohle ist umweltpolitisch nicht vertretbar. Die Auswertungen über den Reaktorunfall von Tschernobyl müssen selbstverständlich auch in unsere Sicherheitsüberlegungen mit einbezogen werden.
Antwort von 2021: Einesteils bedauere ich, dass man die Kernenergie sofort abgeschrieben hat. Ich finde, dass man das Positive der Kernenergie ein bisschen vernachlässigt hat. Damals war man auf die Kernenergie angewiesen und ziemlich lange davon abhängig, da keine bessere Technologie nachkam. Kernenergie war auch für uns eine wichtige Energiequelle. Nach der Katastrophe wurde mehr überlegt. Und das war wichtig: Kann man die Kernenergie ersetzen, wenn es zu gefährlich ist? Man muss ja nicht ewig bei der Kernenergie bleiben, sondern sich fragen, was möglich ist und was nicht. Zum Beispiel Wasserstoff: Wenn Wasserstoff so funktioniert, wie gewollt, ist auch ein Verzicht auf Kernenergie machbar. Im Nachhinein muss man aber auch die positiven Aspekte der Kernenergie betonen. Die Fukushima-Katastrophe kann man nicht unbedingt auf den Tschernobyl-Unfall übertragen. Das verlief ein bisschen anders. Ich habe das damals von Anfang an verfolgt. Infolge der Katastrophe von Fukushima hat man aus der Kernenergie aussteigen müssen. Man wäre der Zeit hinterher gewesen, wenn man genauso weiter gemacht hätte wie bisher. Ich möchte aber dennoch betonen, dass wir von der Kernenergie in der Vergangenheit profitiert haben. Mit der Kernenergie haben wir eine vernünftige Energie zu einem einigermaßen vernünftigen Preis erhalten. Ohne Kernenergie hätte ein Energiemangel vorgeherrscht. Die Verantwortlichen haben sich bereits in der Vergangenheit immer Gedanken zu dieser Technologie gemacht: Kann ich sie einsetzen? Wo kann ich sie einsetzen? Auch ich war damals in den entsprechenden Ausschüssen vertreten. Wir haben damals überlegt: Was kann ich anders machen? War das richtig? Haben wird etwas falsch gemacht oder hätte man von Anfang an etwas anders machen müssen? Es war schon immer ein Ringen, um die “richtige” Energie. Es gab nie nur Kernenergie oder nichts. Man hat sich Fragen, inwieweit Kernenergie vertretbar ist, schon immer gestellt.
3. Auch die Landwirtschaft leidet gerade in unserem bäuerlichen strukturierten Bereich, dem Unterallgäu, unter erheblichen Problemen. Wie sehen SIe die Zukunft der Landwirtschaft?
Antwort von 1986: Der bäuerlich strukturierten Landwirtschaft bzw. dem bäuerlichen Familienbetrieb galt schon immer unsere Hauptsorge. Die sozial liberale Koalition hat durch ihre verhängnisvolle Landwirtschaftspolitik des "wachsen oder weichen", der sog. "Förderschwelle", erheblich dazu beigetragen, die gewachsenen Strukturen zu schwächen.
Der Bayerische Landtag hat mit seiner Landwirtschaftspolitik den bayerischen Weg, der für manche Bundesländer beispielgebend war, dafür gesorgt, möglichst viele Betriebe zu erhalten. Das Konzept der Haupt-, Zu- und Nebenerwerbslandwirte wird auch in Zukunft noch seine Berechtigung haben.
Das Problem der Überproduktion läßt sich nicht ohne Reglementierungen lösen. Auf dem Sektor Milch zeigen sich die ersten Erfolge. Ohne die Kontingentierung wäre mit Sicherheit der Preis zusammengebrochen. Wir wollen dabei die aufgetretenen Härtefälle nicht verharmlosen und die Schwierigkeiten nicht wegdiskutieren, wir dürfen aber auch nicht verschweigen, daß ein Handeln fünf Jahre früher notwendig gewesen wäre. Durch weitere Herausnahme von Milchmengen aus dem Markt muß der noch vorhandene Überschuß beseitigt werden.
Wir brauchen für die Landwirtschaft Verständnis aus allen Bevölkerungsschichten. Wir brauchen von der Landwirtschaft die Bereitschaft, den eingeschlagenen Weg zu akzeptieren und mitzugehen. Wir brauchen eine gesunde Landwirtschaft auch unserer Umwelt zuliebe.
Antwort von 2021: Ich sehe die Zukunft der Landwirtschaft schon positiv. Man hat schon immer Schwierigkeiten gehabt. Egal in welchem Bereich. Damals stellte sich die Frage, kann man so weitermachen wie bisher oder geht das nicht? Es stellte sich die Frage nach dem besten Weg für die Landwirtschaft. Das Umfeld der Landwirtschaft ist schwierig geworden. Es braucht Lösungen, wie damit umgegangen werden kann. Als Beispiele kann ich die Gülle- und Düngeverordnungen nennen. Die Bestimmungen sind manchmal sehr schwierig. Ein normaler Landwirt, kann diese gar nicht umsetzen. Diese Schwierigkeiten muss man abbauen. Auch die Vorschriften müssen umsetzbar sein. Man darf nicht immer nur das Ideale fordern, sondern das, was auch umsetzbar ist. An dieser Stelle ist man auf die Erfahrungen junger Menschen angewiesen. Diese jungen Menschen müssen überzeugt werden, dass es nicht weitergeht, wenn man alles so wie bisher fortsetzt. Aus eigener Erfahrung der Meisterschule habe ich gelernt, dass vieles nach ein paar Jahren überholt war. Das ist eine stetige Weiterentwicklung. Und ich kann nur aus Erfahrungen und Fehlern lernen. Das Aussterben von Familienbetrieben ist nicht nur in der Landwirtschaft ein Problem, sondern auch in der Wirtschaft und im Handwerk. Ich bin froh, dass noch immer so viele Menschen im Bereich der Landwirtschaft tätig sind und sich Gedanken machen, was besser gestaltet werden kann. Es braucht da schlüssige Konzepte, die eine Umsetzung möglich machen. Das schafft Glaubwürdigkeit und kann junge Leute überzeugen in der Landwirtschaft tätig zu werden.
4. Herr Fickler, möchten Sie noch ein Problem im Rahmen dieses Interviews ansprechen?
Antwort von 1986: Ein besonders drängendes Problem ist der Zustrom der Asylanten geworden. Nach einem Rückgang in den Jahren 82/83 stieg die Zahl der Asylbewerber sprunghaft an. 1985 haben rund 74.000 Personen Asyl beantragt. 1986 wird die Zahl 100.000 überschreiten. Im vergangenen Jahr wurden in Bayern über 12.000 Asylanten untergebracht. Unsere Aufnahmekapazität ist nun erschöpft und Schwierigkeiten machen sich überall bemerkbar. Nicht nur die Milliardenbeträge, die zusätzlich jedes Jahr notwendig sind, auch die Probleme, die das zur Zeit geltende Recht mit sich bringt, müssen fachlich, aber in aller Offenheit diskutiert werden. Ein Aussparen dieses Themas im Wahlkampf wäre falsch, denn ein Totschweigen könnte nur den Ausländerhaß noch begünstigen. Die Bayerische Staatsregierung und die CSU-Fraktion haben diesbezüglich klare Vorschläge erarbeitet. Es muß gewährleistet bleiben, daß echte Asylanten weiterhin bei uns Aufnahme finden, Scheinasylanten aber möglichst schnell abgeschoben werden können. Wir sind kein Einwanderungsland und sollten unsere Freizügigkeit nicht durch gewissenlose Geschäftemacher mißbrauchen lassen.
Antwort von 2021: Mich beschäftigt das Thema Bildung. Das fängt bereits in der Grundschule an. Es braucht Menschen, die überzeugt werden können. Diese Menschen kann ich nur durch Erfahrungen überzeugen, indem man aufzeigt, was möglich ist und was nicht. Hier muss ich junge Menschen motivieren, dass sie mitmachen. Durch das Mitmachen hab ich schon halb gewonnen. Ich spreche als gelernter Gärtner - landwirtschaftlicher Feinmechaniker wie immer gesagt habe - aus eigener Erfahrung. Das Thema Düngung spielt in diesem Bereich zum Beispiel eine wichtige Rolle. Auch wenn ich durch Düngen momentan mehr rausholen könnte, muss man abwägen, wenn es im Gesamten nicht ideal ist. Früher hat man bestimmte Sachen gemacht, aber später stellte sich heraus, dass das so nicht mehr funktionierte. Dann hat man es anders gemacht - zum Beispiel durch einen anderen Düngeplan. Deshalb ist der Informations- und Erfahrungsaustausch enorm wichtig. Das betrifft auch das lebenslange Lernen und die Weiterbildung. Beim Thema Landwirtschaft spielen zum Beispiel die landwirtschaftlichen Fachschulen eine bedeutende Rolle. Auch Kurse nach der Berufsausbildung und der Austausch mit Berufskollegen sind sehr wichtig. Außerdem darf man sich nicht entmutigen lassen, wenn es mal schlecht läuft und Schwierigkeiten aufkommen. Wenn man versucht, die Informationen und Erfahrungen anderer zu nutzen, kann man davon profitieren.
Die Fragen sind ein Auszug aus dem “Interview mit MdL Georg Fickler”, welches im “Schwaubablättle” (Ausgabe Nr. 2, 1986) erschien. Das Interview im Jahr 2021 führte Dominik König.